Mittwoch, 21 Juni 2017

Der hölle ist eine komfortzone

Was ‚Wave‘ betrifft: ich habe tatsächlich alle meine älteren Songs schon sehr früh geschrieben. So etwa ab 35 fing ich dann allmählich an, damit aus dem Arsch zu kommen. Ein sehr schmerzhafter Prozess, aber am Ende eine Erleichterung…

(Q) Im Lauf Ihrer Karriere haben Sie eine beeindruckende Zahl von Studioalben vorgelegt. Im Zeitalter der digitalen Musikdistribution neigen Hörer verstärkt dazu, einzelne Tracks statt ganzer Alben zu konsumieren. Hat das Albums als stimmiges Ganzes damit bald ausgedient?

(A) Ob CD oder Vinyl, für mich sind Platten nach wie vor die erste Wahl, um meine Arbeit im Wortsinn greifbar zu machen. Ich glaube noch immer an die haptische Erfahrung, das gepresste Produkt in der Hand zu halten. Darin manifestiert sich ja auch auf ganz konkrete und taktile Weise ein Zeitraum, den ein Künstler oder eine Band damit zugebracht haben, dieses Werk vorzubereiten und schließlich umzusetzen. Daran wird sich für mich nichts ändern. Die Schwarzmaler, die den Tod des Albums beschwören, können mich mal.

(Q) Was hat Sie veranlasst, unabhängig zu werden, als Sie schon bei großen und einflussreichen Labels unter Vertrag standen? Was hat das für Ihre Musik und für Ihre Karriere bedeutet?

(A) Meine letzte Erfahrung mit einem Plattendeal fand im Jahr 1998 mit Sony und meinem damaligen Album Salty Heaven statt. Die haben mich für ein Jahr buchstäblich zerlegt. Ich war vollkommen am Boden zerstört über die kalte und berechnende Art, mit der sie mich fallen ließen. Es gab kein Gespräch, keine Erklärung. Sie haben sich sang- und klanglos verabschiedet, nachdem ganze zwei Jahre meines Lebens in dieses Album geflossen waren, in das ich so viel von mir gesteckt hatte. Aber sie haben mir damit einen Riesengefallen getan. Ich habe danach feierlich geschworen, unter keinen Umständen je wieder die Rechte an meiner Arbeit an eine Plattenfirma abzutreten. Die ganz großen in der Branche sind übel, sozusagen die Entsprechung von McDonald’s in der Musikwelt. Seit 1999 habe ich elf Alben auf meinem eigenen kleinen Label Big Sky herausgebracht und über www.lukabloom.com vertrieben. Ich liebe jede einzelne dieser Aufnahmen, und sie gehören mir.

(Q) Ihre Empfehlung an die Hörer von Frúgalisto lautet, “hört es euch einfach an und findet raus, was die Songs für euch bedeuten”. Für mich gehören ‚Lowlands Brothers‘ und ‚Australia‘ zu den eindringlichsten Tracks. Was bedeuten diese beiden Songs für Sie?

(A) Was ‚Lowlands Brothers‘ betrifft: der Onkel meiner Mutter, Joe Sheeran, starb im Ersten Weltkrieg. Ich wurde von einer Organisation, die sich dem Gedenken an den Ersten Weltkrieg in Flandern verschrieben hat, um Beiträge zu einer Konzertreihe im Jahr 2014 gebeten. ‚Lowlands Brothers‘ habe ich also für den Onkel meiner Mutter und für alle Iren, die auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges gefallen sind, geschrieben. Australien liebe ich einfach sehr. Abgesehen von Irland ist das der einzige Ort auf der Welt, den ich je vermisse. Ich fahre da seit 1992 hin, alle anderthalb Jahre oder so. Ich habe viele Freunde in Australien und fühle eine tiefe Verbundenheit mit dem Land.

(Q) A propos vermissen: Sie haben das Land Ihrer Geburt verlassen und zuerst in den Niederlanden, dann in den USA gelebt. Was bedeutet Heimat heute für Sie? Mit ‚Homeplace‘ haben Sie ja auch eine Sammlung von Schnappschüssen und Notizen über das Leben auf Tour veröffentlicht…

(A) ‘Heimat ist ein Ort in mir, ich nehme ihn mit. Ich treffe mein Volk, wo immer ich bin’. So heißt es in meinem Song ‚Tribe‘. Wenn du Sänger bist, triffst du deinen Stamm jeden Abend, an dem du singst. Mein Zuhause sind heute meine Songs. Ich liebe es, in Irland zu leben, aber Staatsangehörigkeiten sind ohne Bedeutung für mich. Wir hängen sowieso alle gemeinsam drin. Nationalität und Religion langweilen mich, genau so wie alles andere, was uns unsere gemeinsame Menschlichkeit vergessen lässt. Was übrig bleibt, wenn wir Religion und Nationalstaat mal außen vor lassen, sind wir. Und die Erde. Es gibt zu viel zu tun.

(Q) Sie haben so unterschiedliche Songs wie ABBA’s ‚Dancing Queen‘, Bob Marley’s ‚Natural Mystic‘ und LL Cool J’s ‚I Need Love‘ gecovert und dabei Stile von Pop und Rock über Reggae bis Hip Hop abgedeckt. Sehr viel gute Musik entsteht, weil Künstler der Idee “Genre” ein gesundes Maß an Respektlosigkeit entgegen bringen und Schubladendenken ablehnen…

(A) Das Etikett “Folksänger” ist für mich keine Beleidigung, aber ich möchte nicht darüber definiert oder darauf reduziert werden. Wenn das Orchester deiner Wahl eine sechssaitige Gitarre ist, ist es eine ziemliche Herausforderung, frisch zu bleiben. Ich stehe niemals still. Ich höre mir grundsätzlich keine Singer-Songwriter an. Meine Vorstellung von der Hölle ist eine Komfortzone. Ich höre mir völlig durchgeknalltes Zeug an, von dem sonst kein Mensch je gehört hat. So etwas aktiv aufzusuchen hält mich frisch, und es befeuert die Angst. Ich muss mich fürchten. Sonst ist mir langweilig.

(Q) Eine ganz schlichte Frage: welche Platte haben Sie als letztes gekauft? Können Sie sie empfehlen?

(A) Ich weiß es gar nicht mehr. Ich kaufe meistens ECM-Aufnahmen. Für mich das beste Label der Welt. Die Keith-Jarrett-Aufnahmen, Anouar Brahem, es gibt so viele Künstler, die ich ohne ECM gar nicht kennen würde. Ich LIEBE dieses Label. Es ist witzig, aber deswegen liebe ich auch Deutschland noch mehr, weil ich weiß, dass sehr viele von euch auch ECM-Aufnahmen kaufen. Ich kaufe Platten von Leuten, über die ich absolut nichts weiß. Ungefähr 50% davon kann ich nicht ausstehen, aber diejenigen die ich liebe, liebe ich für immer.

(Q) Mit ‚Section 31‘ haben Sie einen Song geschrieben, der in Irland verboten wurde. Was hatte es damit auf sich? Und, um auf einen ganz alten Disput zwischen Künstlern zu kommen: sind Songs eine politische Kunst? Sollten Sie das sein? Können Songs die Welt ändern?

(A) ‚Section 31‘ habe ich in den Siebzigern geschrieben, aus Protest gegen die bizarre Entscheidung der irischen Regierung, alle republikanischen Aktivisten aus dem nationalen Radio und Fernsehen zu verbannen. Stattdessen wurden Schauspieler eingesetzt, um deren Aussagen für Nachrichtensendungen wiederzugeben. Es war absurd, und es war ein bisschen faschistisch. Mein Bruder Christy, Gott segne ihn, hat den Song aufgenommen. Die einzige Verantwortung von Songwritern besteht darin, sich selbst treu zu bleiben. Es gibt nichts Schlimmeres als Künstler, die irgendetwas Politisches schreiben, weil sie sich dazu verpflichtet fühlen. Das ist in der Regel erstens durchschaubar und zweitens Müll. Wenn mir etwas wirklich unter die Haut geht, weil es einfach falsch und ungerecht ist, gebe ich mein Bestes, um darauf zu reagieren. Manchmal funktioniert das und manchmal nicht. Dass Songs die Macht haben die Welt zu verändern, glaube ich nicht, und ich empfinde das oft als sehr anmaßende, wichtigtuerische und aufgeblasene Vorstellung. Was Songs aber sehr wohl können ist, einzelnen Menschen das Leben zu retten. Vermutlich haben sie meins gerettet. Wenn ein Song, den ich schreibe, das Herz von jemandem berührt, dann ist das ein politischer Erfolg, der meine wildesten Träume übersteigt.

Luka Bloom: The Frúgalisto Tour. Sa, 29.10.16, 20:00 Uhr: Columbia Theater,
Columbiadamm 9-11, 10965 Berlin. Weitere Informationen zum Künstler unter www.lukabloom.com.

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Franziska ist weder Irin noch Berlinerin, hat es aber irgendwie geschafft, sich in beiden kulturellen Sphären häuslich einzurichten. Wie beide dann mehr und mehr verschmolzen und schließlich zum Start von Irish Culture Events führten, ist eine sehr lange Geschichte, in der die meisten irischen Pubs der Hauptstadt, irische Fiddle-Musik und der St. Patrick’s Day 2016 vorkommen. Als Autorin, Interviewerin und Kritikerin trifft Franziska Künstler, blogt über irische Events und berichtet über Liveauftritte. Ihre Stärke: Der Backstage-Blick auf das irische Leben Berlins!