Mittwoch, 23 August 2017

Didn’t they Ramble, Glen Hansard live in Berlin

Die hölzerne Struktur des Tempodroms schwingt mit den erdigen Klängen von Colm Mac Con Iomaires Geige, als die Konzertgäste aus der Kälte eines Abends Ende November langsam in die Arena strömen. Es ist eine sanfte Aufwärmübung für die kommenden Stunden mit einem energiegeladenen Glen Hansard, der nach kurzer Zeit mit seiner elfköpfigen Band die spärlich beleuchtete Bühne – nicht betritt. Einnimmt.

Hansard eröffnet das Set mit Leonard Cohen’s Bird On The Wire. Die Hommage an den kürzlich verstorbenen Großmeister wird nicht die letzte des Abends bleiben, aber zunächst folgt eine Auswahl von Hansards aktuellem Studioalbum “Didn’t He Ramble”. Just To Be The One, das heitere, dylanesque Winning Streak und My Little Ruin geben einen Vorgeschmack auf dessen eindrucksvolle musikalische Bandbreite, die von den Musikern eins zu eins in Liveversionen übersetzt wird. Das stürmische irische Jig-Finale von McCormack’s Wall koexistiert friedlich mit: groovigen Big Band-Klängen von Curtis Fowlkes an der Posaune und seinen Kollegen an Saxophon und Trompete, den Gewitterstürmen, die Hansard und seine Tourneepianistin auf dem Klavier entfesseln, orchestralen Streicher-Parts, dem Van Morrison-beeinflussten Celtic Soul-Gefühl des Titelsongs und der easy listening-Gelassenheit von Wedding Ring, die irgendwo knapp vor Neil Diamond-Territorium haltmacht.

Zeit zum Luftholen? Oder um den Anschnallgurt anzulegen? Nicht vorgesehen. Willkommen in Glens Achterbahn. Eine derartige tour de force könnte, müsste erschöpfend sein, und die Platte wurde von grantigen Kritik-Eminenzen schon mal “überproduziert” gescholten. Faszinierenderweise trifft beides nicht zu. Teilweise, weil sämtliche noch so unterschiedlichen musikalischen Galaxien, in die Didn’t He Ramble vordringt, eisern von Hansards Gesang zusammengehalten werden, der vom gutturalem Wolfsknurren über kratzige, resignierte Klagen bis ins sanfte, tröstende Flüstern oszilliert. Teilweise, weil der vollkommene Einklang und die sprühende Spielfreude der Band – höchstens Bruce Springsteen und die E-Street- Band sind fähig, Vergleichbares abzuliefern – so unglaublich anstecken. Hansards Gabe, ein Publikum mit sich zu reißen sucht ihresgleichen, und er und seine Musiker setzen ihre Zuhörer so etwas wie dem Borg-Angriff unter den Live-Konzerten aus: Widerstand ist zwecklos. Diese Leute haben eine Mission. Die Trommel mit dem Schriftzug SAVE A SOUL steht schließlich nicht zum Spaß auf der Bühne.

Als Hansard sein bereits jetzt nach Luft schnappendes Publikum nach den ersten sechs Songs zum ersten Mal direkt adressiert, tut er es mit einem flapsigen deutschen “Alles klar?” In die sich anschließenden Lacher und Zurufe serviert er ebenso trocken die erste Anekdote des Abends. Die Szene könnte John Dos Passos‘ “Manhattan Transfer” oder dem New York-Kultstreifen “Smoke” entnommen sein: Hansard und Kollegen hängen in einer New Yorker Bar ab und verlieben sich allesamt in Barkeeperin Renata – “die in allem immer Recht hatte”, wie er ausführt, “Barkeeperinnen haben einfach keine Zeit für dummes Zeug.” Als ein betrunkener Hansard und einer seiner Konkurrenten in Habachtstellung auf etwas Zeit mit der Angebeteten lauern (“er wartete wahrscheinlich darauf, dass ich endlich abhaue. Ich wartete definitiv darauf, dass er endlich abhaut. Sie wartete darauf, dass wir beide abhauten. (…) Und dann fragte er, ‚bist du nicht der Typ aus “Once”, der diesen ganzen romantischen Scheiß schreibt?‘) endet der Abend damit, dass der Troubadour dem romantischen Rivalen zu seiner eigenen Überraschung einen Song schreibt, um das Herz der gemeinsamen Geliebten zu erobern.

Ob die charmante Geschichte nun wahr oder dem Reich der Bühnenfiktion entlehnt ist: dem Song Renata war es nicht vergönnt, seine Heldin zu erweichen (“er hat ihn gesungen, ich habe Gitarre gespielt, und sie hat uns beide rausgeschmissen.”) Die Erfahrung hat Hansard offensichtlich nicht entmutigt, weiter romantische (wenn auch zweifelnde) Songs zu schreiben, wie er gleich danach mit Wedding Ring unter Beweis stellt. Von da begibt er sich übergangslos in politisches Fahrwasser, als er seinen Zuhörern Woody Guthries selten gespielte Perle Vigilante Man präsentiert, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass der verstorbene Vater des politischen Folk sich seitenweise über Donald Trumps Vater Fred ausließ.

Liebe und Respekt für andere Künstler ziehen sich durch das ganze Set. Das Publikum darf einer Bande Musiknerds in ihrem Element zuschauen, die den Abend selber am meisten zu genießen scheint. Der dreckige, bluesige Groove von Hansards Lowly Deserter mündet in ein Zitat des berühmten Doors-Covers von Brecht/Weills Alabama Song. Prince wird mit einem funkensprühenden Cover von Kiss geehrt. Zwischendurch schmuggelt Hansard O’Shaugnessys berühmte Worte “We are the music makers/And we are the dreamers of dreams” ins Frames-Original Star Star, bevor er das Publikum endlich vom Warten auf Falling Slowly erlöst.

Wer denkt, der Abend könne nicht noch emotionaler werden, wird eines besseren belehrt, als zwei ausgedehnte Zugaben zum Cohen-Tributeset werden. Mit Who By Fire, Famous Blue Raincoat und So Long, Marianne beschwört Hansards Stimme die schmerzhaft vermisste Legende, und es ist herzzerbrechend und tröstend zugleich, wie sehr er sich in manchen Augenblicken an Cohen annähern kann. Der intensive, gemeinsame Moment von Trauer und Gedenken lässt niemanden unberührt. Mit auf der Bühne steht Cohens langjähriger musikalischer und persönlicher Wegbegleiter Javier Mas, dessen Laute noch zum überwältigenden Eindruck von Präsenz beiträgt. Gemeinsam erzeugen die Musiker schwer in Worte zu fassende Augenblicke voller Hoffnung und Transzendenz. Es bleibt ihr Geheimnis, wie ihnen das mit Anmut und Würde gelingt; wie sie es schaffen, den emotionalen Moment nicht ins Sentimentale kippen zu lassen und wie sie geschickt die ganzen Ozeane voller Pathos und Kitsch umschiffen, in denen weniger respekt- und taktvolle Performer die Magie dieser Momente ertränkt hätten.

Als das Publikum – aufgewühlt, glücklich, traurig und getröstet, alles auf einmal – sich allmählich auf die Ausgänge zubewegt, taucht die Band plötzlich in der Mitte der Arena auf und zieht, jetzt unverstärkt, alle verbliebenen Besucher in eine gemeinsame Darbietung von Passing Through, den Cohen einst berühmt machte. Gesang, klatschende Hände, stampfende Füße, schnipsende Finger setzen das letzte Ausrufezeichen hinter das starke Zusammengehörigkeitsgefühl des Abends.

Glen Hansards Liveauftritte zählen zu den besten, die es im Moment zu erleben gibt. Mühelos und geschmeidig überbrückt er die Distanz zwischen Aufführenden und Zuhörern. Unter seiner Führung entsteht eine große, warme, vibrierende Blase aus Musik, Emotionen und Gemeinsamkeit, die während des Abends alle Stadien von “sometimes happy, sometimes blue” durchläuft. Hansard hat es von den Straßen Dublins auf die größten Bühnen der Welt geschafft – aber dort hat er die Kunst, seine Zuhörer mitzunehmen, gelernt und zur Perfektion gebracht.

Franziska ist weder Irin noch Berlinerin, hat es aber irgendwie geschafft, sich in beiden kulturellen Sphären häuslich einzurichten. Wie beide dann mehr und mehr verschmolzen und schließlich zum Start von Irish Culture Events führten, ist eine sehr lange Geschichte, in der die meisten irischen Pubs der Hauptstadt, irische Fiddle-Musik und der St. Patrick’s Day 2016 vorkommen. Als Autorin, Interviewerin und Kritikerin trifft Franziska Künstler, blogt über irische Events und berichtet über Liveauftritte. Ihre Stärke: Der Backstage-Blick auf das irische Leben Berlins!